Frauen-Kultur-Archiv

Lyrische Universen

Eva Strittmatter

Kurzporträt

Die 1930 in Neuruppin geborene Eva Strittmatter arbeitete nach ihrem Studium zunächst als Lektorin und Literaturkritikerin, ehe sie sich dem Schreiben von Lyrik widmete, nicht zuletzt unterstützt durch ihren Ehemann Erwin Strittmatter. Ihren ersten Gedichtband „Ich mach ein Lied aus Stille“ veröffentlichte sie 1973 und hatte damit sofort großen Erfolg bei Kritikern und Lesern. Sie wurde zu einer der populärsten Dichterinnen der DDR. Ihre Gedichtbände erzielten hohe Auflagen, während ihr Schreiben in der BRD verhältnismäßig unbekannt geblieben ist.

 

Neben der Lyrik verfasste sie Prosa und Kinderbücher. Sie sah sich von russischen Dichtern, allen voran Puschkin, inspiriert. In Anlehnung an die Naturlyrik des 19. Jahrhunderts bilden Natur- und Stimmungsgedichte, die weitgehend subjektive Befindlichkeit widerspiegeln, den Mittelpunkt ihrer Arbeit. Ihre Lyrik ist durch sprachliche Klarheit gekennzeichnet, da sie bewusst auf überhöhte poetische Bilder und eine elaborierte Sprache verzichtet. In einigen Gedichten sowie in ihren Essaybänden finden sich Reflexion über ihren eigenen Schreibstil zum Gegenstand. Sowohl ihre Lyrik als auch ihre Prosa enthalten viele autobiografische Elemente – so auch die drei Briefsammlungen „Briefe aus Schulzenhof“, die Einblicke in ihr schriftstellerisches Leben und in die Schriftstellerehe vermitteln. Eva Strittmatter starb am 3. Januar 2011 in Berlin.

Gedichte

 

Sprachlos

 

Erst kennt man sich mit den Worten nicht aus
Und später nicht mehr mit dem Leben.
Noch immer ist es das selbe Haus.
Doch nun sieht man den Abgrund daneben.

 

Also wie sich halten? Von Tag zu Tag
Seine Pflicht tun. Doch was ist die Pflicht?
Wir sind nicht mehr sicher. Wir urteilen zag.
Und was kommt, das wissen wir nicht.
Von Altersweisheit keine Spur.
Der Sinn ist nicht zu verstehen.
Eine kleine Güte. Ein Lächeln nur.
Und einfach weitergehen.

 

In: Eva Strittmatter: Liebe und Haß. Die geheimen Gedichte 1970-1990. Berlin 2000.

 

Große Nächte

 

Die gelben Lilien und die lilanen Lupinen,
Kastanien blühn und Fliederbaum.
Spät blühn Holunder und Robinen
Und drängen weiß in unsern Traum.
Im Juni, in den großen Nächten,
Macht manches Mal ihr Duft uns wach.
Was wir an Süße da genießen,
Geht uns noch im Dezember nach.

 

In: Eva Strittmatter: Ich mach ein Lied aus Stille, 1973. In: Sämtliche Gedichte. Berlin 2006.

 

 

Schneemond

 

Der Schnee ist unterm Mond so schön.
Der scheint unangerührt.
Hell ist’s. Ich kann die Spuren sehn,
Die dich zu mir geführt.
Ist immer noch der alte Mond,
Der Puschkin einst geschienen.
Der hat auch tief im Schnee gewohnt.
Und von den Silberminen,
Die uns der Mond im Schnee aufmacht,
Holte er Staub in Pfunden.
Hat heimlich ihn nach Haus gebracht,
Prägte darein die Stunden.
Zwirnte das Silber fadenfein
Und brachte es zum Klingen.
Spann Schnee und Nacht und Mondschein ein.
Die kann man heut noch singen.

 

In: Eva Strittmatter: Ich mach ein Lied aus Stille, 1973. In: Sämtliche Werke. Berlin 2006.

 

Vor einem Winter

 

Ich mach ein Lied aus Stille
Und aus Septemberlicht.
Das Schweigen einer Grille
Geht ein in mein Gedicht.

 

Der See und die Libelle.
Das Vogelbeerenrot.
Die Arbeit einer Quelle.
Der Herbstgeruch von Brot.

 

Der Bäume Tod und Träne.
Der schwarze Rabenschrei.
Der Orgelflug der Schwäne.
Was es auch immer sei,

 

Das über uns die Räume
Aufreißt und riesig macht
Und fällt in unsre Träume
In einer finstren Nacht.

 

Ich mach ein Lied aus Stille.
Ich mach ein Lied aus Licht.
So geh ich in den Winter.
Und so vergeh ich nicht.

 

In: Eva Strittmatter: Ich mach ein Lied aus Stille, 1973. In: Sämtliche Gedichte. Berlin 2006