Zur Ausstellung der Künstlergruppe: "Das junge Rheinland"
Immer wieder drängt es mich dazu, mich für die holde Kunst einzusetzen, da ich ein Mensch von heute bin. Und da mein Herz gläubig ist, muß es dafür zeugen, denn der Stimmen, die dieser Zeit außer der technischen Tatkraft jede künstlerische Schöpferkraft absprechen wollen, oder wenigstens aber die Notwendigkeit der künstlerischen Werke in unserer Zeit anzweifeln, werden immer mehr. Darum allein ist es vielleicht schon eine Versündigung am Geiste, wenn man sich nicht laut durch Worte dafür einsetzt. Selbst dann, wenn man selbst dem Worte nicht mehr jene Bedeutung beimißt, wie es eine vorhergehende Zeit getan hat. Denn ich weiß, daß meine Worte, selbst dann, wenn sie aus gläubiger Inbrunst dringen möchten, niemals jene suggestive Kraft haben können, wie sie das echte Kunstwerk selbst hat. Auch dann hat, wenn der Einzelne im Oberbewußtsein sich nicht eingestehen will. Denn darüber müssen wir uns doch klar sein, daß das Kunstwerk so schwer sein will wie das Leben selbst, aus dem es kommt. Für den, der es äußerlich anfaßt, ohne Liebe und ohne Versenkung, bleibt es ewig verschlossen. Genau so wie das Leben aber tut es sich dem auf, der sich ihm in Liebe hingibt. Das ist der springende Punkt. Nicht in kritischer Einstellung wird das Publikum dem Kunstwerk nahekommen, sondern nur durch liebevolle Versenkung.
Nur der schöpferische Mensch, nicht der zersetzend negativ eingestellte, wird ein Kunstwerk voll aufnehmen und in sich selbst neu gebären können. Denn die heutige Zeit ist nicht leicht zu fassen. Sie ist nicht von einer Weltanschauung getragen, die nur in einem Stil Form wird. Darum ist es schwer, rein äußerlich sich zu orientieren, denn kein Wegweiser ist da, keine Ismen geben den richtungsgebenden Wink. Der Expressionismus, der notwendig war, um die Form der rein auf äußerliche Eindrücke eingestellten Kunst zu sprengen, hat sich ausgetobt, und es zeigt sich heute nun, wer von den damals revolutionär sich gebärdenden Künstlern nur die revolutionäre Geste hatte oder wer aus dem Blute heraus Fesseln sprengte.
Da der äußere Eindruck einer Kunstausstellung heute ruhiger anmutet, wie zum Beispiel die Jungrheinland-Ausstellung vor sieben Jahren in Düsseldorf, werden Stimmen laut, daß diese Kunst, die heutzutage von den Museumswänden blickt, eigentlich gar keine Berechtigung hat, da sie ganz außerhalb des rasenden Tempos der Zeit stehe. Was sollen uns heute, so heißt es, noch diese Landschaften, Sonnen, Blumen, sanften Frauen, diese Menschenkörper, heute, wo der Hammer regiert, die glühenden Hochöfen und das Auto und das Flugzeug und die Kraft des Sportmanns. Was soll uns diese anscheinend unzeitgemäße Kunst? Diese so fragenden Menschen vergessen, daß ihre Sehnsucht in Wirklichkeit oft zwar nur für Sekunden diesen unzeitgemäßen Elementen wie Sonne und zarten Kindern gehören. Sie erahnen nicht, daß ihr Hetzen ein Betäubungsmittel ist, denn sie haben nichts mehr, woran sie sich halten können. Die Religion ist nicht mehr für jeden eine Stütze und kein Bindungsmittel mehr des ganzen Volkes. Darum die Lautheit und das Rasen unserer Zeit. Nur Wenige haben Kraft, in diesem Tempo und in diesem Wirbel ruhender Pol zu bleiben, an dem wir uns halten können. Wie müßten wir eigentlich diese geistigen Kraftmenschen lieben, die in unserm zeitgemäßen Tun die unzeitgemäßen Güter, die aus vergangenen Jahrhunderten bindend in die kommenden Jahrhunderte weisen, die uns diese Güter erhalten. Wie müßten wir eigentlich diese Menschen lieben, die noch den Glauben sich bewahrt haben an das Unbegrenzte und Unerforschbare, das sich offenbart in Sonne, Mond und Sternen und in jedem Menschengesicht. Welche Liebesquellen graben diese Menschen uns auf, die uns ein Halt zurufen bei unserm unsteten Tun! Wir müßten sie lieben, denn sie, diese schöpferischen Menschen geben uns den Halt wieder, den nur Religion geben kann. Über das Zeitgemäße, das der Mensch hier auf Erden zeitbedingt schafft, weist der Künstler, der aus Blut und Instinkt schafft, auf Ewigkeitswerte, die wir Menschen brauchen wie das tägliche Brot. Er zeigt den Wald, und wir erahnen, was hinter dem Wald ist: eine Unendlichkeit des Raumes Gottes, daß wir erschauern vor dieser Göttlichkeit. Daß wir erschauern in Demut, wie dieser Künstler erschauerte, als in gnadenvoller Stunde er sein Wer schuf. Demütig schuf, fühlend, daß er selbst nur ein ausführendes Werkzeug einer größeren Macht ist. Denken Sie hierbei an Pankok, van Gogh, Munch, Dostojewski. Denken Sie auch an die früheren diesen verwandten, an Hercules Segers, Greco und Grünewald, an die Gotik und an die frühen Christen. Hier zeigt sich der rote Faden, der sich durch die Jahrhunderte zieht, und der beweist, daß diese anscheinend unzeitgemäße Kunst in Wirklichkeit überzeitlich ist.
Neben Werken dieser ekstatischen Menschen stehen solche, die grausig klar uns das Nebeneinander von Natur und Technik zeigen. Kein Bild ist mehr reine Natur. Eine Baggermaschine ragt auf. Ein von Menschen geometrisch genau eingefaßtes Wasserbett zerreißt die Landschaft. Das Grandiose geknebelt! Bösartig legt es sich auf das Gemüt des Beschauers. Ein geistiges, kein äußerliches Erfassen unserer Zeit, des zähen Kampfes, den die Natur mit der Technik führt. Natur – Technik: ein Zwiespalt, der uns zum Beispiel aus den Bildern von Max Ernst in dieser Ausstellung entgegenweht, ein Zwiespalt, der uns Angstträume einjagt und uns beunruhigt, denn die Gottheit liegt tief geknebelt. Man hat Angst. Aber diese Angst soll geboren werden! Das will dieser Künstler. Er gibt uns keinen Halt wie der ekstatische Mensch. Er läßt uns manchmal in dieser Angst ersaufen.
Und neben diesen Dämonisch-ekstatischen und diesen letzteren Zwiespältigen sehen wir den klar Zupackenden, der in seinen Bildern den Fingerabdruck unserer Zeit gibt, es ist der sachliche Mensch, der sagt: so ist es. Seine Bilder sind genau so richtig, wie ein Rechenexempel richtig ist. Wie eine vernunftgemäße logische Antwort sprechen uns die Bilder der Sachlichkeit an. Auch diese Künstler haben ihre persönliche Berechtigung, die Berechtigung ihrer zeitlichen Aussage. Aber der Geist schreit nach Geist, wenn auch die Vernunft zufrieden ist, und wir vermissen bei diesen Bildern das, was hinter dem Vernunfterfaßten unberührt und unerforschlich liegt. Kalt bleiben wir und gefühllos. (In dieser Ausstellung fehlt die Kunst der Sachlichkeit.)
Den Gegenpol zu den Ekstatischen der neben den Zwiespältigen und den Sachlichen besteht, bilden die Menschen, die nicht wie die Ekstatischen aus den Urgründen des Instinktes schaffen, sondern deren Werke ein sinnbar werdendes Blühen des Lebens geben, ohne die Abgründe des dämonischen Menschen. Es sind jene Künstler mit den sinnfälligen Bildern, die gefüllt sind mit dem sinnlich faßbaren Leben. Man kann hier an die französische Malerei denken, die unsern Augen ein Fest ist, ein blühendes Fest von Farben und Formen, ein Fest den Sinnen. Sie sind abseits von den Höhen und Abgründen des ekstatischen Menschen. Denken Sie hier an Liebermann, Manet und den frühen Renoir. In dieser Ausstellung ist H. B. Hundt dieser Art Kunstoffenbarung am nächsten.
Nichts liegt mir natürlich ferner als hier Künstler systematisch einzuteilen. Mir liegt nur daran, ein wenig orientierend über heutige Kunst zu sprechen, um zu zeigen, daß Kunstausstellungen heute ein vielseitiges Gesicht zeigen müssen, genau so vielseitig wie die Zeit selbst. Ich wollte zeigen, wie diese verschiedenen Weltanschauungen nebeneinanderherlaufen, sich ergänzend zu einem Gesamtbild des Suchens und auch schon Gefundenhabens unserer Zeit: Da steht der ekstatisch-dämonische Mensch, der aus den Urgründen des Blutes und Instinktes schafft als einsamer ruhender Pol, an dem wir uns halten können, da steht der Mann mit der ehernen Stirn, der die Kraft in sich hat, den bösen Zwiespalt: Natur – Technik zu gestalten; da steht der Mann mit der sinnenfreudigen Seele und läßt unter seinem Pinsel blühen und daneben steht der Vernunftmensch der Zeit, der sachliche Bilder schafft. Bilder, die unsere Seele kalt lassen in ihrer Seelenlosigkeit. Diese Künstler teilen den Pessimismus unserer Zeit und haben im Grunde den Zweck ihres Berufes verloren. Des Berufes, zu dem die Künstler aller Jahrhunderte berufen waren, dem Geiste zu geben, was des Geistes ist, oder: um ihren Träumen zu trauen, ihren Träumen, die aus Unbewußtem kommen und kraft des Geistes Gestalt gewinnen. Träume – aber nicht kalte Abrechnungen. – Nun habe ich doch Stellung genommen, sogar eine ganz persönliche, die man mir aber verzeihen wird. Denn wieder muß ich betonen, auch dieser Weg war notwendig und führte zu einem Ziel.
Denn der Gedanke der Sachlichkeit hat in der angewandten Kunst, der Architektur, die Zweckbauten macht, tiefste Berechtigung. Da führte uns die Sachlichkeit heraus aus dem verlogenen Ballast des Stuckes und wir erkannten wieder die Schönheit einer ruhigen Front, der geraden Linie. Die Linie einer derartig ruhigen aufgeteilten Häuserwand gibt der Straße Ruhe, drängt sich nicht mehr störend auf. Diese einfachen Linien in den Wohnräumen mit den geradlinigen ruhigen Möbeln geben uns wieder die Ruhe und Weite, die zu innerer Sammlung notwendig ist. Wir werden von diesen Häusern, diesen Möbeln nicht mehr aufgesogen. Wir sind frei von ihnen, keine Sklaven.
Und diese ruhigen einfarbigen Wände können auch wieder Bilder zu den Menschen predigen lassen, frei und ungehemmt. Zwar keine gemütlichen Bilderchen im Goldrahmen, sondern Bilder, die in ihrem geistigen Gehalt (nicht durch äußere Größe natürlich) diese Wände füllen, diese schlichten Räume leben lassen im Geiste seines Bewohners, der das Bild seines eigenen Blutes hineinhängen wird. Es kommt darauf an, wozu er sich persönlich hingezogen fühlt, ob er blutsverwandt ist mit den ekstatischen Künstlern oder ob seine Seele dem sinnenfreudigen, dem zwiespältigen oder dem sachlichen Menschen gehört. Es ist ein Irrtum, wenn selbst in Malerkreisen die Befürchtung auftritt, daß ihre Bilder in sachliche Häuser nicht passen.
Die einfache Geste mit tiefstem Gehalt.
Darum allein brauchen wir schon nicht zu verzweifeln an unserer Zeit, denn in ihr war es möglich, den einfach sachlichen Stil des Bauwerkes zu gestalten. "Die einfache schlichte Geste". Ja, daß wir sie finden konnten, wiederfinden konnten diese einfache Geste, das schon allein kann uns zukunftsfreudig machen. Nicht Armut des Geistes, sondern Demut des Geistes ließ uns die einfache Linie wiederfinden, die einfache Wand, die nach echten Bildern schreit.
Leider haben wir noch keinen sachlichen Museumsbau, verloren und nicht zu Hause so schauen mich immer die Bilder von den viel zu hohen oft reichlich verstuckten Museumswänden an. Sie sind meistens verloren und einsam in diesen Räumen, wie es der Künstler anscheinend selbst im Getriebe der heutigen Welt ist, in einer Welt, in der Luxus war und sein sollte und sie ist doch notwendiges Brot. Des wollen wir eingedenk sein, daß der Leib tot ist ohne Geist.
Solange Menschenherzen lieben, werden Bilder in Räume gehängt. Und gerade der sachliche Bau gibt ihnen den ruhigen Raum, den sie mit ihrem Geiste füllen können. Der sachliche Raum gibt nur die Umrahmung, die jeder mit seinem eigenen Traume füllen muß. Das ist der Stil unserer Zeit: Der sachliche Bau gefüllt mit lebendigen Bildern.
In: Der Schacht. Unpolitisches Wochenblatt für bewußte Kulturarbeit im Ruhrgebiet. 4. Jg. 18. Heft. Januar 1928.